"Unterwegs mit der Türmerin" Ostseezeitung am Freitag, den 19.10.2007

Seit 2002 stößt die Ausstellung „Wege zur Backsteingotik“ am St.-Marien-Turm auf großes Interesse. Mehr als 150 000 Besucher sind es bereits in diesem Jahr. Und immer mehr wollen Wismars höchstes Bauwerk von innen ersteigen.
Von HANS-JOACHIM ZEIGERT

Wismar. Für Christina und Rüdiger Mahnhardt aus Waren an der Müritz stand bei ihrem Wismarbesuch das Thema Backstein-Gotik ganz oben auf dem Programm. Der Stadtplan half zwar, doch den brauchten sie nicht, um den 82 Meter hohen Turm von St. Marien zu finden. Nach der 3-D-Video-Animation über den Bau der Marienkirche hatten sie noch etwas Zeit, Da kam ihnen die um 11 Uhr beginnende einstündige Führung zur Turmbesichtigung gerade recht.

„Wir sind begeistert von diesem Angebot – und das sogar bei freiem Eintritt!“, so das Lob der beiden. Dafür waren sie gern bereit, einen kleinen Obolus in die Spendenbox zum Erhalt der Backstein-Bauten zu stecken. Dann lernten sie auch schon Beatrix Kirschner kennen. Sie ist eine der drei Wismarer Tourist-Informations-Mitarbeiter, deren Job ist es, Besucher täglich bis in eine Höhe von 75 Metern zu führen.

Wer es nicht schon vorher weiß, dem erklärt sie bereits beim Öffnen der hölzernen Seitentür, dass es insgesamt 326 Stufen sind, bis das Ziel erreicht ist: der imposante Glockenstuhl in der vierten Etage. Jeweils 15 Teilnehmer können in der Regel viermal am Tag den Turm besteigen und zwar um 11, 13, 15 und 17 Uhr. In der Winterperiode sind die Öffnungszeiten jedoch den Witterungsbedingungen angepasst.

Etwas ungewohnt erscheint zunächst der Weg über die enge Wendeltreppe. Doch den Verdacht, dieser etwas beschwerliche Weg könnte sich bis ganz nach oben erstrecken, entkräftet die 38-jährige versierte Turmführerin ganz schnell: „Nach 80 Stufen haben Sie es geschafft, dann geht es über bequemere Holztreppen weiter.“ In fast 20 Metern Höhe öffnet sie einen hölzernen Fensterladen im drei bis vier Meter starken Mauerwerk. Der erste imposante Blick fällt auf den Fürstenhof und St. Gorgen. Da ist auch schon die Gewaltigkeit des Backsteinturms gegenwärtig, an dem mit Baubeginn der einstigen dreischiffigen Basilika ab 1339 etwa fünf Millionen Ziegelsteine des sogenannten Klosterformates verbaut wurden.

Dies und vieles andere Wissenswerte erklärt Beatrix Kirschner immer aufs Neue während kleiner Aufstiegspausen, damit der Marsch nach oben besonders für ältere Besucher nicht zu anstrengend wird. Dann endlich kommt das gewaltige Gebälk des Glockenstuhls in Sicht mit seinen neun Glocken. Etwa 14 Tonnen Gesamtgewicht hängen da im Gebälk. Fünf Tonnen wiegt die größte. Die kleinste Glocke ist dafür die älteste. Sie hat dort bereits seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts ihren Platz. Bläst der Wind, pfeift er dort durch sogenannte hölzerne Schall-Leiterklappen. Diese sinnvolle Konstruktion sei notwendig, erklärt die „Türmerin“. Denn schließlich soll der angenehme Klang des elektronisch gesteuerten Glockenspiels, das um 7, 12, 17 und 19 Uhr ertönt, möglichst weithin zu hören sein.

Das erinnert die Wismarerin auch immer wieder an ihre sportliche Tätigkeit, für die sie stets eine gute Kondition braucht. „Ich denke, die habe ich auch“, erklärt die junge Frau in so netter Weise, dass wohl niemand an ihren Worten zweifelt. Damit das auch so bleibt, ist sie in der Freizeit gern mit dem Fahrrad unterwegs.
 
 


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